Dirk Darmstaedter, Musiker und Songwriter aus Hamburg: Gestartet als Sänger der Band The Jeremy Days, prägte er später mit der Gründung von Tapete Records die Hamburger Musikszene.
Inzwischen ist Dirk Darmstaedter auch mit seiner eigenen Musik erfolgreich. Im Interview blicken wir zurück auf Beständigkeit in 40 Jahren Musikgeschichte und natürlich auf The Jeremy Days, die nach 20 Jahren wieder ein Konzert geben werden. Wir schauen auf Veränderungen und wagen einen Blick auf das kommende Album von Dirk Darmstaedter.
Wir treffen uns in der REH Bar in Hamburg Altona. Dirk Darmstaedter kommt gerne hierher. Dass die REH Bar perfekt für das Interview gewählt ist, zeigt sich im Laufe unseres Gesprächs gleich mehrfach. Doch beginnen wir im Hier und Jetzt mit einem Rückblick auf die vergangenen Monate.
Ein Jahr voller Herausforderungen
In unserem Telefoninterview im Juli berichtete Dirk bereits davon, was er sich für 2018 vorgenommen hat: Die Produktion eines neuen Albums. Jeden Monat soll ein neuer Song entstehen und direkt released werden. Alles in Eigenproduktion. Vom Songwriting, dem Mastering bis hin zur Covergestaltung, dem Marketing und dem Vertrieb.
Wir war das Jahr für dich?
Sportiv. Er lacht. Ich mache das ja hauptsächlich für mich. Das Schreiben von 13 bis 15 Songs für ein Album türmt sich immer als großer Berg vor dir auf. Es bringt viel mehr Spaß, jeden Schritte direkt zu machen: schreiben, aufnehmen, produzieren, mastern, Cover gestalten und veröffentlichen. Ich wollte den kompletten DIY-Prozess durchspielen. Ich finde, man lernt Neues nur, wenn man sich auch mit den Dingen auseinandersetzt, vor denen man am meisten Angst hat.
Gab es Augenblicke, in denen du daran gedacht hast, abzubrechen und einen anderen Weg zu wählen?
Nein, eigentlich nicht. Natürlich gibt es Momente, in denen dir nichts einfällt. Aber das ist ja nichts Schlechtes. Als 20-Jähriger habe ich die Hälfte meiner Zeit damit verschleudert, in Cafés rumzuhängen und auf die Muse zu warten. Musik machen und Songs schreiben ist ehrliche Arbeit. Eines meiner Lieblingszitate ist: Writing ist the art of applying the butt to the seat (Dorothy Parker). Setz dich hin und tu es. Wenn man nicht anfängt, passiert nichts. Auch ich habe diese Augenblicke, in den nichts passiert. Aber wenn man dranbleibt passiert irgendwann plötzlich dann doch wieder etwas.
Kreativität kann man nicht erzwingen
Wie notierst du spontane Ideen?
Ganz unterschiedlich. Ich habe ein Notizbuch und mein Smartphone. Täglich nehme ich in meinem Studio ein paar Akkorde auf, einen „Vibe“, wie ein Playback. Ich vergesse es dann erstmal wieder und wenn ich acht oder neun Schnipsel zusammen habe, brenne ich sie auf eine CD und spiele sie beim Autofahren ab. Es klingt, als hätte es jemand anders für mich geschrieben. Mit meinem Handy nehme ich dann Textfragemente im Sprachmemo auf. Ab und an entsteht so der Nukleus eines neuen Songs.
Damals und heute – groß und klein
Ist das neue Album bereits fertig?
Noch nicht ganz. Es ist ja ein ongoing-Prozess. Zusätzlich sind da noch die Coversongs. Mein Plan ist es die LP im März fertig zu haben. Ich muss zum Glück ja kein großes Marketingteam überzeugen. Und dann will ich auch wieder Konzerte geben. Derzeit bin ich viel mit den »J’Days« beschäftigt. Die Vorbereitung auf das Konzert läuft und ich spiele wieder viele der alten Songs. Wenn das überstanden ist, geht es mit dem Album weiter.
Da kommt bei Dirk Darmstaedter gerade einiges zusammen. Zusätzlich zu der Challenge um das neue Album, die er direkt auf seiner Webseite und über Bandcamp veröffentlicht, hat er zwei Alben mit Coversongs für seine monatliche Radiosendung auf Bremen Zwei zusammengestellt. Im Januar wird es dann nach fast 20 Jahren wieder ein The Jeremy Days Konzert geben.
Ich persönlich mag die sanfte, ab und an ein wenig rauchig klingende Stimme von Dirk Darmstaedter sehr gerne. Folk, Pop, Sehnsucht. Viele Songs über Freundschaft, Rückblicke und Ausblicke. Ich bin vor Jahren zufällig auf das Album Beautiful Criminals gestossen. Die Stimme von Dirk Darmstaedter hat mich bereits als Jugendliche mit Brand New Toy begleitet und kehrt nun mit Songs, wie The Sea Before Us in mein Leben zurück. Musik und Texte sind bei Dirk Darmstaedter oft so umsetzt, dass ich unerwartet intensiv zuhöre und nachdenke.
Dirk Darmstaedter – Alles ist anders und doch gleich
Selten habe ich die Möglichkeit, über den Wandel der Branche, die mich so begeistert, so viel zu erfahren. Wir wechseln immer wieder die Blickrichtung, vergleichen unserer Musikverhalten. Ich als Kassettenkind, vor dem Radio, im Plattenladen, in der Disko und Dirk Darmstaedter mittendrin, auf der Bühne, im Studio und als Label- und Bandmanager und Musiker.
Lass uns auf 40 Jahre Musikbusiness zurückblicken. Was hat sich aus deiner Sicht wesentlich verändert?
Alles und nichts. Die Welt hat sich komplett um180 Grad gedreht. Früher in den 90`s, wenn du eine Platte gemacht hast und sie nicht in der Rotation bei VIVA war, dann hättest du dir den Aufwand sparen können. Ein Freund meinte, heute sind die Spotify Playlisten das neue VIVA. Das ist eine interessante Analogie. Wenn du heute nicht auf einer dieser Playlisten bist, dann gibt es dich quasi nicht. Es gibt täglich mehr neue Musik, als man jemals hören kann. Selber suchen und Teilen findet kaum noch statt. Somit hat sich fast alles verändert, aber einige strukturelle Dinge eben nicht. Man dachte immer, das Internet ist da, geil, nun gibt es keine Gatekeeper mehr. Doch eigentlich sind diese Gatekeeper heute krasser als die vor 30 Jahren.
Damals, so erzählt Dirk Darmstaedter, gab es noch ein paar unabhängige Journalisten, die trotzdem noch für große Zeitschriften geschrieben haben. Wenn man Glück hatte, erhielt man zwei Seiten im Rolling Stone, obwohl man Nischenkünstler war. Heute, hat er das Gefühl, es werde nur noch über Mainstream berichtet.
„Du bist zum absoluten Makro-Nischen-Dasein verdammt. Die Mitte ist weg. Es gibt sie noch: die Musiker und Bands die große Hallen füllen, die meisten Künstler müssen sich aber tagtäglich fragen, ob-und wie es noch weitergehen kann.
Digitalisierung im Musikbusiness
Es ist also nicht einfacher geworden durch das Internet?
Nein, nichts ist einfacher geworden. Das einzige was einfacher geworden ist, ist es Musik selber zu produzieren. Mit meinem Mac und Garage Band geht das schnell und einfach. Ich setze mich gern mit der Technik auseinander, da ich neue Dinge lernen möchte. Danach beginnt leider der schwierige Rest, die Vermarktung.
Dirk berichtet von Künstlern, die damals für Tapete Records aus den USA gekommen sind und mit Catering in großen Hallen spielten. Heute, so sagt er, haben die Clubs durch die Gentrifizierung und GEMA ihre eigenen Probleme. Viele Künstler müssen Hutkonzerte spielen. Es sei, besonders für junge Musiker, noch schwieriger geworden.
Manchmal denkst du: Es ist doch recht sinnlos, was wir da machen. Das muss dir einfach klar sein, wenn du Musik machst. Früher haben Bands drei oder vier Jahre geprobt und wenn es dann mit einem Deal nicht klappte, sind sie vielleicht Zahnärzte geworden, was für alle vielleicht das Beste war. Heute produzierst du deine Musik selbst, veröffentlichst, promotest dich selbst und buchst deine eigenen Tourneen. Und ja, das ist sowohl großartig, anstrengend und zuweilen unheimlich. Ich kann nicht sagen, ob es gut oder schlecht ist, es ist eben anders. Jeder muss für sich entscheiden, ob er Musik so liebt, dass er heute noch Musik machen möchte.
Musik geniessen
Es scheint heute fast unmöglich zu sein, sich im Wettbewerb innerhalb der Musikbranche durchzusetzen. Streaming, mit dem Angebot Musik quasi kostenfrei zu hören, lässt uns Musik weniger schätzen. Vorbei sind die Zeiten, in denen Fans am Releasetag im Plattenladen ihres Vertrauens das Gesparte für ein neues Album, eine Single oder ein Konzertticket ausgeben. Musikmachen heißt heute nicht mehr, zuerst Geld verdienen zu können, es bedeutet, mehr als früher, etwas mit Leidenschaft zu tun und gleichzeitig zu befürchten, nie davon Leben zu können.
Diese große Leidenschaft für Musik sehe ich auch bei Dirk Darmstaedter. Er liebt was er tut. Seine Augen leuchten, wenn er über sein Leben erzählt. Ich denke, genau das bringt ihn auch nach 40 Jahren immer wieder dazu, uns mit Songs wie Wilhelmsburg zu erfreuen oder Anfang kommenden Jahres mit seiner Band The Jeremy Days auf der Bühne zu stehen.
Jede Menge wunderbare Songs
Aber wie kam es zu dem The Jeremy Days Konzert, nach über zwei Jahrzehnten? Ein Auftritt einer Band, die mit ihrem ersten Album 1988 groß durchstartete und mit der Single Brand New Toy direkt einen Hit landen konnte, der 30 Jahre später fast jedem im Ohr klingt?
Vor dem Rückblick auf die Zeit der »J’Days«, mache ich hier eine kurze Pause. Denn bevor es um die Zeit zwischen 1987 und 1996 geht, möchte ich noch mal auf die Songs von Dirk Darmstaedter hinweisen, die er seit Anfang 2000 veröffentlicht hat. Tolle Songs, wie Sonny & Cher, Pop Guitars und eigentlich alle von dem Album Beautiful Criminals, mit dem ich Dirk Darmstaedter damals wieder entdeckt habe. Und mit all den neuen Songs, die im Laufe der letzten Monate entstanden sind und in den kommenden noch folgen werden, schaue ich gespannt 2019 und mindestens ein tolles Konzert von und mit Dirk Darmstaedter.
Hier einmal das Video zu The Half Life vom Album Before We Leave für euch.
Der zweite Teil des Interview mit einem Rückblick und Ausblick auf das The Jeremy Days Konzert am 18. Januar 2019 im Docks in Hamburg folgt in Kürze. Tickets gibt es noch, aber sicher nicht mehr lange.
Mehr über Dirk Darmstaedter, aktuelle Songs und News erhaltet ihr auf seiner Webseite, der Facebook-Fanpage, Twitter, Instagram, Soundcloud und Youtube.
Fotocredits: Titelbild Credit: Olaf Heine, Profilbild: MarkusWustmann. Die Fotos vom Interview hat Kristine Wegener für Musicspots gemacht. Danke dafür.
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