Phoenix haben Ende 2022 mit Alpha Zulu ein Album herausgebracht, auf das Fans sicher sehnsüchtig gewartet haben. Mit gerade mal 35 Minuten bringt uns die Band ein Popmusik-Erlebnis, das uns ins Heute zieht ohne die Vergangenheit zu vergessen.
Ehrlich gesagt, war ich anfangs etwas erstaunt und ein klein wenig beleidigt, als ich die ersten Takte des Titeltracks hörte. Das als „großartiges Werk“ empfohlene Album startetet mit einem Beat, der mich mehr an ein neues HipHop Album erinnert. Erwartet hatte ich energievollen leichten Pop, wie ich es bei Ti Amo gewohnt war.
Heute, gefühlte 360 Hörstunden später, bin ich froh, dem Album eine Chance gegeben zu haben. Alpha Zulu trägt mich direkt in ein eigenes Höruniversum und lässt mich locker durch die eigenen vier Wände tanzen. Phoenix hat wieder einen Sound geschaffen, der in sich stabil ist, sich grazil an die Vorgänger anschmiegt und gleichzeitig genau die Alleinstellungsmerkmale besitzt, die wir seit Wolfgang Amadeus Phoenix vermisst haben.
Aktueller denn je
Auf Alpha Zulu finden wir natürlich auch die geliebten lyrisch-philosophischen Texte wieder. Zeile, die vielleicht auch immer ein wenig aus dem eigenen Leben erzählen könnten. Halbsätze, bei denen wir Verweilen und Schmunzeln, um uns dann vom nächsten Song wieder mitreißen zu lassen, bevor wir ins Grübeln geraten.
Wie erwartet ist dieses langersehnte Album von den Einflüssen der Corona Pandemie geprägt. Die Story dahinter berichtet von einer begonnen Produktion, die gestoppt werden musste. So lässt uns die französische Band die Entbehrungen ebenso fühlen wie sie Fragen nach dem Sein und dem zwischenmenschlichen Miteinander aufwirft. Als Beispiel sei Tonight genannt. Ein Stück mit einem Feature von Ezra Koenig (Vampire Weekend). Der Song über das Entfliehen aus der Isolation und über die Einsamkeit wirft uns unvermittelt zurück in Lockdown-Zeiten „Could you, could you come tonight? / I’m countin‘ from the thunder / Could you, could you come tonight? I got a feelin‘ that you know the number“.
Entstanden ist das Album an einem besonderen Ort: Einem Tonstudio im Pariser Musée des Arts Décoratifs, das sich im nördlichen Flügel des Louvrepalastes befindet. Ab und an kann man die Nähe der zahlreichen Kunstwerke in der Musik scheinbar spüren.
Auch im Cover spiegelt sich diese räumliche Nähe wieder. Als Anlehnung an Botticellis „Maria mit dem singenden Kind und den Engeln“ gestaltet, stehen vier engelsgleiche Jungen über ein geheimnisvolles, neonfarbenes Heft gebeugt. Ist das zuviel Kitsch? Nein, wenn sich eine Band dies erlauben kann, dann Phoenix.
Gemeinsam haben Thomas Mars (Gesang), Laurent Brancowitz (Gitarre) Christian Mazzalai (Gitarre) und Deck D’Arcy (Bass) von ihrem ersten Album Untitled (2000) über den aktuellen Vorgänger Ti Amo (2017) bis heute Songs geschaffen, die das aktuelle Zeitgeschehen in ihrer Popmusik einfangen. Stücke, wie If I Ever Feel Better, Entertainment oder Everything is Everything sind fast jedem vertraut.
Stücke, die sich spätestens nach dem zweiten Anhören vertraut anfühlen, bietet auch Alpha Zulu. Während der Produktion, sagt die Band, hat sie oft an den 2019 verstorbenen Freund Philippe Zdar gedacht und ist seiner Art gefolgt. Der DJ und Produzent hat das grossartige Album Wolfgang Amadeus Phoenix erschaffen. Seine Überzeugung, dass der erste schnelle Gedanken bereits die passende finale Idee ist, wird auch hier wieder umgesetzt. „On this album, all the takes, all the lyrics, they came super fast and without any control, so Christian Mazzalai.
Diese oft rohe Energie drückt sich auf dem Album in schnellen Drums, lauten Gitarren und Effekten aus, die an den passenden Stellen platziert sind. Drumloops fordern uns zum Tanzen auf, Synthies klingeln im Ohr. Das Stück Season 2 ist eines für die gute Party, die die Welt draußen vergessen lässt. Hier heisst es: „Last drink / Tell me something you would not think / That I’d be better if my heart sank / Another season and it’s almost new / It tastes like heaven“ und jeder hat das Bild einer plötzlichen Begegnung des Abends vor Augen.
Vielleicht würde ich Freunden, die Phoenix noch nicht kennen Identical empfehlen. Ein Song zum Abschluss des Albums, der den Bogen zu den Vorgängern schliesst und doch wie alle für sich selber steht.
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Sollte ich Favoriten benennen, so wären diese jeden Tag und zu jeder Tageszeit andere. Für mich gibt es auf diesem Album von Phoenix keinen Song, der nicht gut ist oder vielleicht auch nur besser als die anderen. All Eyes On Me, der mit den schnellen Beats definitiv mehr Techno als französischen IndiePop beinhaltet, wird von mir ebenso gefeiert, wie das anfänglich verschmähte Alpha Zulu.
Abschliessend kann ich sagen, dass Phoenix für mich eine dieser wenigen Bands ist, die es schafft sich auf jedem Album treu zu bleiben und sich gleichzeitig neu zu erfinden. Phoenix bringt auch auf Alpha Zulu ein Gefühl von Sehnsucht, Schmerz und Euphorie zu uns. Sie geben uns Mut nach langem Zweifel nach vorne zu schauen, während wir eigentlich weiter zurück blicken wollen.
Bleibt eigentlich nur zu hoffen, dass ich es 2023 zu einem der kommenden Konzerte schaffe um das Album auch live zu erleben.
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