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Reeperbahn Festival 2023 – der Blick zurück geht nach vorn

Auch über eine Woche nach dem Reeperbahn Festival 2023 fragen wir uns noch: Was waren unsere Highlights, welche neuen Bands haben wir entdeckt und spiegelt das Geschehen vom 20. – 23.09.2023 in Hamburg wirklich die aktuelle Situation wider? Was bleibt aus diesem Festival für die Zukunft der Musikbranche? Wir blicken nochmals zurück.

Das Reeperbahn Festival gehört seit 18 Jahren zu einem der bedeutendsten Festivals der Branche. Viele Bands, die hier spielen, haben gute Chancen, als nächstes auf eine große internationale Bühne zu steigen. Es ist ein Festival, das Trends aufzeigen will, sowie einen Ort für Austausch über die Branche bieten möchte. 2023 war das Motto: What’s Next? – sollte also den Blick in die Zukunft zeigen. Wurde das Festival seinem Motto gerecht? Wir schauen auf die Konzerte und Talks, die wir erlebt haben. 

Blick aus der Redaktion auf die Reeperbahn

Dirk: „Vier Tage lang stand wieder nur die Musik im Vordergrund. Getrieben durch die Lust auf unzählige Konzerte und die Befürchtung, ich könne etwas verpassen, habe ich sogar Mahlzeiten ausfallen lassen. Vorab haben mir persönlich, im Vergleich zu den Vorjahren, wirkliche Highlights gefehlt. Mit Veronica Fusaro und Antje Schomaker standen zwei Musikerinnen auf meinem Zettel, von denen ich zurecht lange selbst Fan bin. Was mir in diesem Jahr eher negativ aufgefallen ist, waren die frei zugänglichen Bühnen an Reeperbus und der Spielbude. Keine Sorge, nicht aufgrund der Acts, die dort aufgetreten sind. Aber allzu oft hatte man Personen um sich, für die nicht der Liveact im Fokus stand, sondern Getränke, Essen und Unterhaltungen.“

„Meine TOP Erlebnisse waren: Cousins Like Shit im Indra am Mittwoch. Nicht die größten Stimmen, aber ein Sound mit Herzblut und eine Party zum Tagesabschluss. Senta im Indra am Donnerstag. Die Musikerin hat ansteckend von St. Pauli bis hinunter nach München gestrahlt. Einige ihrer deutschsprachigen Songs bleiben mir bis heute durch ihren tollen Ohrwurmcharakter in Erinnerung – ich sag nur: Musik Musik oder Egal wie weit. Mein Gänsehautmoment war Lena & Linus in der St.Pauli Kirche am Freitag. Ihre Akustikversion von Timothée Chalamet auf den Altartreppen mit dem Publikum als Chor war einfach nur perfekt! Mein Höhepunkt am Samstag waren Black Honey, die das Knust zum Abschluss nochmals ordentlich durchgerockt haben. Aber, was das RBF auch immer ausmacht, kam nicht zu kurz: Viele Freunde, Bekannte und neue Gesichter wieder getroffen, kennengelernt und ins Herz geschlossen. Digga, für mich sind genau diese unverkrampften Begegnungen das, was ich an Hamburg liebe.“

Jenny: „Vier Tage lang habe ich unzählige Eindrücke sammeln dürfen. Panels, Talks, Networking und selbstverständlich ohne Ende Musik. Ich habe Bekannte wieder getroffen und neue Kontakte knüpfen können. Das Reeperbahn Festival hat mich auch in diesem Jahr wieder einmal nicht enttäuscht. Dass man nicht an drei Orten zeitgleich sein kann, ist zwar immer wieder schade, aber ebenso bekannt. Unabhängig von schon vorher geplanten Terminen, konnte ich mich in diesem Jahr einfach mal wieder zwischen den Bühnen treiben lassen und so tolle Künstler*innen entdecken und interessante, inspirierende Gespräche führen. Selbstverständlich habe ich dabei wieder Emotionen und Momente für euch eingefangen, die wir auf MUSICSPOTS mit euch teilen.“

„DAS Festivalhighlight habe ich nicht – aber ich kann sagen, dass mir nicht nur einige Musikperformances in Erinnerungen geblieben sind. Erwähnen möchte ich hier den Talk Leadership in the Music Industry mit Candace Newman und Tina Krüger, die Ausstellung der Music Women* Germany im Sommersalon sowie unser Interview mit Jordan Mackampa – eine wunderschöne Persönlichkeit. Musikalisch besonders gefallen haben mir die groovige Performance von Dylan Cartlidge im Nochtspeicher, die Künstlerin iskwe im Canada House (UWE) sowie die beiden erfrischenden Showcases von Wyn Starks und Sarah Reeves im Bahnhof Pauli. Mein ganz persönliches Fanherz für handgemachte Musik hat der Sänger und Songwriter Kyle McKearney mit seiner großartigen Band am Freitag Nachmittag im mehr als gut besuchten UWE (Canada House) erobert. Ich hoffe sehr, man kann diese Combo und ihre Spielfreude in Zukunft mal auf einer größeren Bühne hier in Deutschland erleben.“

Charlyn: „Ich bin Neuling in der Musikbranche und so ist es auch mein erstes Reeperbahnfestival beziehungsweise das erste große Networken für mich gewesen. Anfangs war ich ziemlich überwältigt von dem großen Angebot und den vielen spannenden Menschen, die ich in den drei Tagen auf dem Festival treffen konnte. Die Aufregung ist aber dank der unfassbar freundlichen MUSICSPOTS-Redaktion schnell verflogen, zu der ich mich seit wenigen Wochen selbst zählen darf. Ich konnte mich also sehr schnell auf die tollen Konferenzen, Talks und vor allem Konzerte fokussieren, die das Festival zu bieten hatte. Mein absolutes Highlight war das Jeremias Konzert am Freitag in der Elbphilharmonie. Ich hatte das Glück, ihr neues Album “Von Wind und Anonymitäten” (eine Review dazu folgt in den kommenden Tagen), das genau an diesem Tag erschien, in einer wunderschönen Kulisse live zu sehen. Es ist mein erstes Konzert in der Elbphilharmonie gewesen. Die promvolle Atmosphäre, die Lichtinstallationen und vor allem der Sound haben mich begeistert. Ich hatte Gänsehaut am ganzen Körper, als Jeremias für ihren Song “Egoist” aus dem neuen Album von einem Cello und einem Saxophon begleitet wurden. Mein absolutes Highlight an diesen drei Tagen. Spannend fand ich auch den Arte Track Plattenkisten-Talk mit Alli Neumann. Die 28-Jährige Sängerin und Schauspielerin gewährte dem Publikum Einblicke in ihre Lieblingsplatten, erzählte, welchen persönlichen Bezug sie zu ihnen hat und wie sie ihr eigenes Songwriting beeinflussten. Bei lockerer Stimmung hatte sie den einen oder anderen witzigen Spruch über die Branche parat. Diese lockere Stimmung auf dem gesamten Festival ist mir im Allgemeinen sehr positiv aufgefallen. Ich freue mich auf das nächste Jahr.“

Caro:Für mich stand dieses Jahr der Austausch mit anderen Besucher*innen im Vordergrund. Mehr als sonst habe ich mir Zeit genommen, Gespräche ausführlicher zu führen, Kontakte auszutauschen und bin immer noch dabei, im Nachgang an Themen anzuknüpfen. Besonders inspirierend waren die Treffen mit den Music Women* Germany am Freitag im Sommersalon, aber auch überall auf dem Festival. Ich habe daher einige Punkte aus dem Konferenzprogramm verpasst und auch die Award Shows dieses Jahr ausgespart.“

„Meine persönlichen Konzert-Highlights aus diesem Jahr sind dennoch zahlreich: Auf Elisson, Mina Richman und Jordan Mackampa habe ich mich besonders gefreut und wurde nicht enttäuscht. Unvermittelt begeistert und live erst richtig überzeugt hat mich Novaa. Die Isländerin Arny Margret hat mir natürlich mit ihrem Acoustic Gig das Herz gebrochen und als Neuentdeckungen nehme ich Loupe und Dylan Cartlidge mit. Aber auch ich muss rückblickend sagen, dass es musikalisch dieses Jahr für mich weniger spannend war. Vieles war bekannt, das Lineup mir generell zu lang. Für den Blick in die Zukunft hätte ich mir noch mehr Mut und News im Programm gewünscht. Dennoch bin ich froh über den sehr persönlichen Austausch. So dürft ihr euch auf Interviews mit Jordan Mackampa zum neuen Album und ein paar Insights von Elisson freuen.“

„Schade fand ich es, festzustellen, dass vielen Musikschaffenden das Budget für ein Ticket fehlte. Der Austausch fand für einige daher neben der Meile statt. Ein Trend, den ich auch eher unschön für den Musikjournalismus finde, ist, dass anscheinend immer weniger Kolleg*innen die Chance nutzen, vor Ort Interviews mit internationalen Musiker*innen zu führen. Dabei hätte man gerade hier die besten Möglichkeiten dieses zu tun.“

Wir haben aber auch den Ruf nach Veränderung und Wandel dieses Jahr überall mehr als deutlich gespürt. Die Forderung nach einer non-binären Gesellschaft, in der alle Teilnehmenden miteinander auf Augenhöhe agieren, ist da. Zu hören und zu spüren ist dies immer wieder in den Veröffentlichungen vieler junger Musikschaffender. Sind diese auf den großen Bühnen beim RBF-Festivals zu verhalten, war der Ton auf den kleinen Bühnen lauter und hoffentlich auch zukunftsweisend.

Realismus auf der Reeperbahn

Bei allem Jubel, schönen Begegnungen und emotional aufgeladenen Konzerterlebnissen sollte man den Blick immer auch neben die großen Bühnen werfen. Immerhin leben wir in keiner einfachen Zeit. Keine 2.000 Kilometer entfernt herrscht noch immer Krieg und die Auswirkungen der Corona Krise sind weiterhin überall spürbar. Gestiegene Preise, ein Wandel in der Gesellschaft und Politik zu mehr Konservatismus, lassen Unsicherheit aufkommen. 

Zu hören ist dies in der Musik aktuell oft durch dystopische Texte und vermehrt dunkle Töne. Hamburgs Kultursenator Dr. Carsten Brosda rief in seiner Ansprache bei der Fish You Were Here Reception von Rockcity Hamburg e.V. dazu auf, diese Strömungen ernst zu nehmen und ihnen entgegenzuwirken. Sein Wunsch, wieder mehr Hoffnung und Zuversicht durch Musik zu verbreiten, ist nachvollziehbar. Doch woher nehmen, wenn die Geldbeutel der Musikschaffenden ebenso leer sind, wie die der Konzertbesucher*innen? 

Einhergehend mit der gesellschaftlichen Veränderung hat in diesem Jahr ein weiteres Ereignis die Gesellschaft erschüttert: der Fall Rammstein. Dies führte zum Zusammenschluss von mehreren Initiativen zu . 100 Tage nach dem Start des Projektes laufen weiterhin Statements von Betroffenen ein. In der Ausstellung zur der Reception der Music Women* Germany im Sommersalon wurde sichtbar, wie allgegenwärtig Gewalt und Machtmissbrauch in der Musikindustrie sind. Von einer gleichberechtigten Branche, in der sich alle Teilnehmenden gut in ihrem Mitwirken fühlen, sind wir weiterhin meilenweit entfernt. 

Gemeinsam für eine bessere Musikindustrie

Umso wichtiger ist es, dass wir alle auf diese Missstände aufmerksam machen und füreinander einstehen. Denn auch wir aus der MUSICSPOTS Redaktion wollen wieder ohne Zweifel Bands empfehlen und dazu aufrufen, sich mit den eigenen Idolen nach einem Konzert zu connecten. Daher führen wir oft Gespräche am Rand der Bühnen und begrüßen Awareness Konzepte in Locations. 

Wer mehr gute Rückblicke vom Reeperbahn Festival 2023 lesen und hören will, dem empfehlen wir den Rückblick von Birgit Reuther auf ihrem Blog Biggy Pop oder die aktuelle Sendung Nachtclub ÜberPop. Natürlich hat auch Matthes Köppinghoff wieder täglich eine Review für den NDR-Blog veröffentlicht. Wer gern den Blick zurück aus der Hamburger Szene hört, sollte sich die Folge Smack Smash vom Astra Colada Podcast nicht entgehen lassen.

Sehen wir uns im kommenden Jahr wieder rund um das Reeperbahnfestival in Hamburg? Wir denken schon. Ob zum Lauschen der großen Panels, Award-Shows und der zahlreichen Konzerte. Oder einen Schnack zwischendurch. Vielleicht auch fernab der großen Meile. Das wird sich zeigen. Bis dahin lasst uns uns weiterhin über Musik und das Business austauschen. Für den musikalischen Rückblick haben wir euch unsere besuchten Konzerte in einer RBF-Playlist zusammengestellt.

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Fotocredits: Titel und Konferenz Caro Schwarz, alle weiteren Bilder Jennifer Ploog

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