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Zwischen Beats und Gewissen: Musik genießen oder Haltung zeigen?

Es war ein ganz normaler Morgen. Ich hatte meine Neuheiten-Playlist auf YouTube gestartet, Kopfhörer aufgesetzt und ging ins Bad. Plötzlich hörte ich einen Song, der mich musikalisch sofort gepackt hat – der Beat, der Sound, einfach alles klang richtig nice. Ich dachte mir: „Wow, was für ein geiler Song!“ Neugierig lief ich schnell ins Wohnzimmer, um nachzusehen, welcher Track da gerade lief. Und dann der Schock: Es war ein Rechtsrock-Song. Das hat mir echt den Boden unter den Füßen weggezogen. Wie konnte mir das passieren? Wie konnte dieser Song in meiner Playlist landen? Da fing ich an, ernsthaft darüber nachzudenken, wie wichtig es ist, sich nicht nur von der Musik catchen zu lassen, sondern auch immer genauer hinzuschauen, wer dahintersteht. Was sagt mein Gewissen?

Nach dem Schock am Morgen

Ich liebe es, neue Musik zu entdecken. Egal, ob auf Spotify oder YouTube – Playlists sind mein täglicher Begleiter. Besonders Neuheiten und unbekannte Künstler*innen fesseln mich dabei immer wieder. Genregrenzen? Kenne ich nicht! Ob Indie, Rock, Klassik, Hip-Hop, Electro oder Pop – wenn der Song gut ist, wird er auf Repeat gehört. Doch in letzter Zeit ist es zunehmend schwieriger geworden, diese Musik einfach unbeschwert zu genießen. Ich erwische mich immer öfter dabei, wie ich mich frage: Wer steckt hinter diesem Song? Welche Haltung vertritt diese Band, dieser Künstler, diese Künstlerin? Ist da vielleicht jemand, der oder die sich offen gegen LGBTQIA+ Menschen stellt? Antisemitisch? Misogyn? Oder gar rechts?

Zwischen Genuss und Gewissen: Was tun, wenn der Song gefällt?

Das Problem ist, dass mich die Songs oft trotzdem catchen. Da sitze ich dann, die Melodie zieht mich rein, die Lyrics machen was mit mir – und doch weiß ich: Ich kann das nicht unterstützen. Denn mit jedem Klick, jedem Stream fließt Geld. Mehr Klicks bedeuten mehr Reichweite. Will ich das für jemanden, dessen Weltbild absolut gegen alles steht, woran ich glaube? Nein. Und trotzdem tut es weh, einen Song aus meiner Playlist zu löschen, der mich musikalisch einfach begeistert hat. Es ist ein verdammt harter Balanceakt zwischen Genuss und Gewissen.

Das Werk vom/von der Künstler*in trennen – geht das überhaupt?

Dann taucht die ewige Frage auf: Kann man das Werk vom Künstler oder der Künstlerin trennen? Geht das? Jede künstlerische Aussage ist auch eine politische Aussage. Manchmal ganz offensichtlich, manchmal subtil. Aber in einer Welt, in der wir alles hinterfragen müssen – von dem, was wir konsumieren, bis hin zu den Menschen, denen wir eine Bühne geben – kann man das Kunstwerk wirklich isoliert betrachten?

Klare Grenzen: Wer nicht in meine Playlist gehört

Ich weiß, bei einigen Künstlerinnen ist es für mich ganz klar: Nein, man sollte sie nicht mehr hören. Michael Jackson? P. Diddy? Rammstein? Nein, danke. Natürlich darf man das alles, keine Frage. Jeder muss das selbst mit seinem Gewissen vereinbaren. Aber wir sollten uns auch bewusst sein, dass wir Verantwortung tragen. Wenn ich eine Band unterstütze, deren Werte gegen meine gehen, dann mache ich mich zum Teil des Problems. Und ja, manchmal bedeutet das, dass man auf Musik verzichtet, die einen auf den ersten Blick anspricht. Das tut weh. Aber es tut noch mehr weh, rechte, antisemitische oder anti-LGBTQIA+ Künstlerinnen durch Klicks zu unterstützen.

Verantwortung der Streaming-Dienste: Wo bleibt der Schutz vor rechter Musik?

In meinen Augen tragen auch Musik- und Streaming-Dienste eine große Verantwortung. Sie sollten rechte Musik erkennen und entfernen, anstatt sie weiter zu verbreiten. Auf einem Talk bei der re:publica im Rahmen des Reeperbahn Festivals haben wir erfahren, wie rechte Inhalte auf Plattformen wie Instagram, Facebook und TikTok immer wieder die Algorithmen umgehen. Ein Trick ist es, Songs durch KI musikalisch in einen harmlos wirkenden Ballermann-Schlager zu verwandeln, der jedoch denselben problematischen Text enthält. Ein weiterer Trick: Songs werden genau so lange angespielt, bis es zu den problematischen Stellen kommt – die Melodie und der Kontext reichen aus, dass jeder, der den Song kennt, die Zeilen im Kopf vervollständigen kann. Natürlich ist es schwer für Programme, solche Tricks zu erkennen, aber wir als Nutzer*innen können und sollten solche Inhalte melden. Auch wenn es manchmal sinnlos erscheint, darf man nicht aufhören, sie zu melden. Streaming- und Social-Media-Plattformen müssen endlich zur Verantwortung gezogen werden, und das Löschen solcher Inhalte sollte so schnell wie möglich geschehen.

Leider vergisst man oft, dass diese Plattformen letztlich Wirtschaftsunternehmen sind. Und ja, mit Rechtsrock lässt sich ebenfalls Geld verdienen – und nicht gerade wenig. Ist das Kapital wirklich wichtiger als der Schutz der Rechte marginalisierter Gruppen? Diese Frage lässt mich oft fassungslos zurück. Aber das zeigt uns wieder, wie wichtig es ist, Druck zu machen und für unsere Werte einzustehen. Denn am Ende sollten Respekt, Toleranz und Menschlichkeit immer über dem Profit stehen.

Diskurs statt Schweigen: Lasst uns darüber reden!

Lasst uns darüber reden, lasst uns in den Diskurs gehen! Wie siehst du das? Müssen wir uns stärker hinterfragen, oder gibt es eine Grenze, ab der man sagen kann: Kunst ist Kunst, und der Rest ist mir egal? Es gibt keine einfache Antwort, aber der Austausch darüber ist unglaublich wichtig.

Foto: Gregor Fischer/re:publica

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