Inspiriert vom Trans Day of Visibility habe ich mich entschieden, mich intensiver mit tin* (Trans, Inter, Nicht-Binäre) -Stimmen auseinanderzusetzen. Schon lange faszinieren mich die Klangfarben, die sich jenseits des binären Normverständnisses bewegen. Dieser Artikel ist ein Versuch, diese Stimmen sichtbar – und vor allem hörbar – zu machen. Denn tin*-Künstler*innen haben mehr als nur ihre Geschichten zu erzählen: Sie haben Stimmen, die bewegen, irritieren, empowern. Stimmen, die oft übersehen werden. Ich lade euch ein, genau hinzuhören. Denn hinter jeder Stimme steckt eine Identität – und jede Identität verdient Gehör.
Stimme, Identität und Wandel
Unsere Stimme ist Ausdruck unserer Persönlichkeit. Für tin*-Menschen kann sie zur Herausforderung oder zum Befreiungsschlag werden. Während Testosteron die Stimme von tin*-Männern wie beim Stimmbruch tiefer werden lässt, bleibt die Stimmlage bei tin*-Frauen durch eine hormonelle Transition oft unverändert – sie arbeiten häufig mit Logopädie, um ihre Stimme zu feminisieren. Nicht-binäre Personen experimentieren mit Klangfarben, Vocal-Range und Technik, um sich jenseits von „männlich“ oder „weiblich“ stimmlich zu verorten. Was für viele selbstverständlich klingt, ist für tin*-Menschen ein bewusster, oft mühsamer Prozess – aber auch ein kreativer.
Stimmen von Trans Frauen
Trans Frauen wie Jackie Shane, Dana International, Kim Petras, Less oder Sophie haben sich Gehör verschafft. Kim Petras etwa konnte durch eine frühe medizinische Transition ihre hohe Stimme bewahren und wurde zur international gefeierten Popkünstlerin. Dana International gewann 1998 den Eurovision Song Contest – ein historischer Moment queerer Sichtbarkeit. Und Sophie brachte mit „It’s Okay to Cry“ eine zarte, fast überirdische Stimme in die Welt, die bis heute in der Hyperpop-Szene nachhallt.
In Deutschland ist Saskia Lavaux ein leuchtendes Beispiel für tin*-Sichtbarkeit. Die Sängerin von Schrottgrenze singt mit einer Stimme, die sanft und rebellisch zugleich klingt – getragen von Tiefe, Erfahrung und echtem Punk-Herzen. Saskia Lavauxs Arbeit auf dem Album Das Universum ist nicht binär zeigt, wie tin*-Stimmen nicht nur gehört, sondern gefeiert werden sollten.
Ich durfte Saskia Lavaux ein paar Fragen zum Thema stellen:
Wie hat sich deine Stimme im Laufe der Zeit entwickelt?
Ich habe meine Stimme immer intuitiv eingesetzt. Ich habe wenig Ahnung von Technik und in den letzten Jahren häufig versucht, mich stimmlich mit neuen Vibes in die Harmonien und Texte der Songs einzufühlen. Auf Das Universum ist nicht binär habe ich daran gearbeitet, meine Stimme sanfter und konzentrierter einzusetzen als auf Alles Zerpflücken, da ich so zu neuen Stimmfarben und Texturen finden konnte. Ich arbeite auch seit Glitzer auf Beton gerne mit größeren Chor-Arrangements und singe mehr in Akkorden als früher. Bei anderen Songs wie Roman und Ines bin ich eher in der Rolle einer Erzählerin. Ich bin also ständig am Probieren mit meinen autodidaktischen Möglichkeiten.
Wie wichtig ist dir tin*-Sichtbarkeit in der Musik?
Die Sichtbarkeit und Hörbarkeit von tin*-Künstler*innen ist mir sehr wichtig. Heteronormative, cisgeschlechtliche Musik ohne geschlechtliche, sexuelle oder romantische Vielfalt ist auserzählt und somit nicht nur uninteressant, sondern immer auch ein reaktionäres und repressives Silencing von Künstler*innen, die sich um Gleichstellung bemühen. Da es heute mehr offen sichtbare tin*-Künstler*innen gibt als noch vor einigen Jahren (bspw. Gigolo Tears, Lila Sovia, Lia Sahin u.v.m.), nehmen tin*-Themen und Stimmen mehr Raum ein. Aber das reicht für meinen Geschmack noch lange nicht. Die Musikbranche interessiert sich nicht für Inhalte und Gleichstellungsbemühungen und ist leider immer noch dominiert von ignorantem, kompetetivem Männersound. Daher halte ich mich – abgesehen von queeren und FLINTA *Kontexten – weitgehend fern.
Wie hast du deine Singstimme gefunden?
Mit 15 fiel es mir schwer, meine Stimme zu finden und vom Schreien in ein flexibleres, harmonisches Singen zu wechseln. Aber seit ich meinen Stimmsitz gefunden habe, komme ich mit meiner Singstimme gut klar. Ich singe anders, als ich spreche – das bringt eine angenehme Distanz zum Alltag mit sich. Ich nutze meine Stimme experimentell und ergebnisoffen. Mein Tipp: Singt in Rollen, sprecht in Zungen – eine Stimme kann grenzenlos wandelbar sein, wie Drag.
Wer waren deine stimmlichen Vorbilder?
Oh ja, ich habe sehr viele Vorbilder: Kim Gordon, Siouxsie Sioux, Patti Smith, Sheila E., aber natürlich auch David Bowie, Robert Pollard, Prince oder Geddy Lee. Punk hat mich stimmlich selten interessiert, deswegen wurde meine Stimme im Punk häufig als zu melodiös oder untypisch empfunden. Aber diese orthodoxen Hörgewohnheiten haben mich nie interessiert.
Was wünschst du dir für die Zukunft?
Ich wünsche mir, dass sich die Musikbranche grundlegend umkrempelt: mehr genderdiverse Perspektiven, faire Bezahlung, weg von reinen Reichweitenmodellen. Aber ich fürchte, das kann ich mir abschminken – wie meinen Eyeshadow.
Stimmen von Trans Männern
Trans Männer wie Lucas Silveira, Mavi Phoenix oder Henri Jakobs zeigen, wie sich Stimmen durch Testosteron wandeln und neu entdecken lassen. Mavi Phoenix’ Album Marlon ist ein klangliches Coming-Out – ehrlich, emotional, selbstbestimmt. Henri Jakobs von Tubbe hat nach seiner Transition musikalisch neue Wege gefunden, mit einer Stimme, die nun fester, tiefer, aber ebenso verletzlich klingt. Ihre Stimmen sind keine Kopie des Cis-Ideals – sie sind neu, eigen, stark.
Nicht-binäre Stimmen
Nicht-binäre Künstler*innen wie Chris (Christine and the Queens), Shamir oder Dorian Electra brechen alle Konventionen. Ihre Stimmen sind Spielwiesen der Identität. Mal tief, mal hoch, mal durch Vocoder verfremdet, manchmal bewusst roh – und immer aufregend. Sie nutzen das Spektrum zwischen den Normen. Musik kennt keine binäre Ordnung. Ihre Stimmen klingen wie Chamäleons: wandelbar, überraschend, unverwechselbar.
Fazit: Hört genau hin!
tin*-Stimmen sind vielfältig, kraftvoll, zart, wild, rau, glänzend. Sie erzählen von Wandel, Identität und Selbstbestimmung. Sie sind nicht besser oder schlechter – sie sind besonders, weil sie ihren Klang oft erst gegen Widerstände erkämpfen mussten. Hört gezielt hin. Unterstützt tin*-Künstler*innen. Baut sie in eure Playlists ein. Geht auf ihre Konzerte. Sprecht über ihre Musik.
Denn nur so entsteht echte Sichtbarkeit – nicht als Trend, sondern als Stimme inmitten unserer Musiklandschaft.
Danke an Saskia Lavaux für deine ehrlichen Antworten und Danke an alle tin*-Künstler*innen, die mit ihren Stimmen Räume schaffen, in denen wir uns alle ein Stück freier fühlen dürfen.
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Fotocredits: Christoph Mangler
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