Der Vogelball ist nicht nur eine Gelegenheit, großartige Musik zu hören, sondern auch eine Bühne für Begegnungen, die hervorstechen. Dort traf ich auf Migati, einen Künstler, der mit seiner Electroclash-Note und dem einzigartigen „Waschbär Pop“ nicht nur auf der Bühne glänzt. Zwischen Synthesizer-Klängen und einem Hauch von Glitzer erzählte Migati von seiner musikalischen Reise, dem Engagement bei Queer Open Stages und pinkem Nagellack in Wilhelmsburg.
Als ich das Line-up des Vogelball 2023 durchhörte, fiel mir Migati sofort auf. Nicht nur weil er einer der wenigen männlichen Musiker war, wenn man die DJs außer Acht lässt, sondern wegen seiner Musik. Der Song “Cornern” schaffte es instant auf meine Favoriten-Playlist und läuft seitdem täglich bei mir. Diesen Künstler musste ich unbedingt interviewen und nach ein paar DMs auf Instagram stand der Termin. Herrlich unkompliziert und unglaublich sympathisch.
Nach dem Konzert auf der YWCC Bühne, die in zwei Überseecontainern untergebracht war, sprachen wir im Backstage Bereich über das Konzert und den Vogelball. Migati tritt seit 2017 regelmäßig auf und durfte das zweite Mal in Folge auch hier auf dem Vogelball spielen. Seine Musik hat nicht nur tolle tanzbare Rhythmen und eingängige Melodien. Sie hat vor allem eindrucksvolle Texte, die mich aufmerksam zuhören ließen. Umso gespannter war ich, was Migati noch über seine Musik und sein Leben erzählt.
Du produzierst Deine Musik in DIY-Manier Zuhause selbst. Wie bist du dazu gekommen?
Ich bin Schauspieler, war auf Tournee, habe gespielt usw.. Irgendwann dachte ich mir, ich will mir meinen Kindheitstraum erfüllen und meine Musik selber produzieren. Das war 2015. Dann habe ich angefangen, mein Equipment zusammenzutragen und zu kaufen. Ich habe geschaut, wie das andere so machen. In Berlin gab es schon eine große Community mit Menschen, die Do-it-Yourself-Musik machten. Auf jeden Fall war da sehr viel im Internet an Wissen zusammenzuholen: wie das so geht, wie man alleine autonom Musik machen kann. Dann ging alles relativ schnell. Ich konnte immer mehr für mich verwirklichen und habe nach zwei Jahren angefangen, Konzerte zu geben und Open Stages zu besuchen.
Ich bin vor allem wegen deiner Texte bei dir hängengeblieben. Wie persönlich sind Deine Texte?
Meine Texte sind ziemlich persönlich, aber du bist wirklich der erste, der danach fragt und die Texte benennt. Damit zeigst du, sie auch gehört zu haben. Ich freu mich, dass du erkennst , dass es Musik ist, die auch Texte hat, die von jemandem persönlich kommen. Viele, mit denen ich sonst über meine Musik rede, fragen erstmal, wie der Name entstanden ist. Ja, ich verarbeite meinen ganzen Shit in meinen Texten und meiner Musik.
Mein Lieblingslied von Dir ist “Cornern”, worum geht es in diesem Song?
Der Song ist in 4 – 5 Tagen entstanden. Ich hatte Zeit. Sonst dauert es wirklich länger. Die Letzte Generation war für mich eine zeitlang ein omnipräsentes Thema. Dann stellte ich mir die Frage, was das für mich bedeutet. Was will ich damit erreichen, wenn ich mich dieser Gruppe anschließe? Aber ich habe keine Antwort gefunden. Ich habe dann den Beat entwickelt und dann kam ich irgendwie auf das Thema Cornern. Ich finde, das ist ein ganz nettes Bild. Im Sommer cornern wir auch, wenn auch auf anderer Ebene. Wir versammeln uns und haben einfach eine schöne Zeit, während alles andere brennt. Wir versuchen uns dann von dem, was brennt, wegzubewegen. Mittlerweile geht das nicht mehr. Wir zünden uns sogar die Kippe an der brennenden Hecke an.
Auf Instagram hast Du einen Kollegen zu dem Thema gedisst. War das ernst gemeint?
Ja, so halb. Aber ich denke manchmal, meine Stories auf Instagram sieht und hört eh keiner. Ich muss jetzt wohl aufpassen, was ich sage. *lacht* Erobique hat doch den Song „Verkackt“ gemacht. Er nimmt sich selbst auch nicht ernst, glaube ich. Aber man kann seine Aussage auch anders auslegen. Man könnte denken: die Boomer Generation sagt: Ja, wir haben’s halt verkackt und ich mach Kuschel-Tanzmusik und Hipster-Musik zum Thema. Ich habe die Story bewusst mit einem Filter unterlegt, es war schon Comedy. Aber ich glaube, man findet auch in meinem Song “Cornern” Anknüpfungspunkte, wo jemand anderes sagen könnte, finde ich nicht gut, zu zynisch. Vielleicht war Erobique eher eine Inspiration für mich.
Du organisierst regelmäßig Open Mic Abende in Wilhelmsburg. Wie kam es dazu?
Seit gut einem dreiviertel Jahr organisiere ich eine queere Open Stage mit Freunden aus und in Wilhelmsburg. Wir haben mittlerweile den dritten Abend veranstaltet. Die letzte Open Stage hatten wir im Garten des Bürgerhauses. Die Idee dazu ist entstanden, nachdem ich bei einer Open Stage im Haussyndikat GoMokry in Wilhelmsburg aufgetreten bin. Das war 2018 und dann kam Corona. Lange gab es dann nichts nichts mehr, weder Open Stage Formate, noch Get Togethers in jeglicher Form. Ich dachte mir irgendwann, Wilhelmsburg braucht so etwas wieder. So habe ich mich mit Freunden zusammengetan und im Januar das erste eigene Event auch in der Mokry veranstaltet. Es war sofort dieselbe Liebe in der Luft wie früher. Da zwei meiner Freund*innen sehr gut connected sind, ist Instagram super schnell angesprungen. Ich habe den Account “Queer Open Stage” erstellt. Dass der Name zu dem Zeitpunkt auch noch frei war, fand ich sehr komisch . Aber dadurch konnte das Projekt richtig wachsen.
Hat Wilhelmsburg eine große queere Community?
Eher in Hamburg, aber Wilhelmsburg ist schon sehr jung und multikulti. Es wird ein immer bunteres, interessanteres, weil auch jüngeres Publikum. Viele Studenten, viele Alt-Eingesessene und dadurch hat es etwas von einem schönen großen Dorf. Die Landschaft und die Natur macht auch viel wett, weil es dort unglaublich schön ist. Der Vogelball findet z.B. in Wilhelmsburg statt, obwohl die Mehrheit der Wilhelmsburger eigentlich so gar keine Berührungspunkte zu diesem Festival hat. Es sei denn, man geht hin.
Du bist gerade sehr bunt gekleidet. Wie ist das privat?
Ich versuche mich auf der Bühne so anzuziehen, wie ich eben nicht zum Aldi gehen würde. Also wenn ich mich auf der Bühne so anziehen würde, wie ich Montag morgens einkaufen gehe, dann wäre ich underdressed. Man ist onstage eine Superhelden-Version seiner selbst, hat Karin Park mal gesagt. Dieses Bild gefällt mir sehr. Für andere Künstler*innen mag das anders sein. Patty Smith ist wiederum immer in Jeans, T-Shirt… und Blazer, wenn’s hochkommt. Bei elektronischer Musik haben wir eine andere Bildsprache. Aber mittlerweile ziehe ich mich auch privat bunter an, allerdings nicht so schrill wie jetzt.
Wie sicher fühlst du dich in Wilhelmsburg, wenn du bunt gekleidet bist?
Sehr sicher. Ich muss aber sagen, ich habe mir heute schon überlegt, ob ich mit dem pinken Nagellack noch schnell zum Penny gehe. Zum Edeka ja, aber zum Penny? Bei Edeka kaufen viele Studenten ein, das ist ein anderes Publikum. Der Penny liegt mitten in einem Wohngebiet bei mir um die Ecke. Außerdem wurde ich schon mal an in Hamburg Mitte wegen meines Nagellacks dumm angemacht. Ein seltsamer Dude meinte das kommentieren zu müssen. Ich bin aber trotzdem mit dem Nagellack zum Penny gegangen und es ist nichts passiert. Es hat mich daran erinnert, dass man als queere Person sehr schnell in ein bestimmtes Muster zurückfällt. Wenn ich will, kann ich mich in Camouflage hüllen, ich lass das Bunte weg und ziehe mich gediegener an. Wenn ich will, werde ich dann nicht wahrgenommen. Das ist mir immer mehr und mehr egal. Man macht sich leider trotzdem seine Gedanken. Wenn ich mir aus den falschen Gründen diese Gedanken mache, dann trage ich den pinken Nagellack erst recht.
Worauf können wir uns in Zukunft von dir freuen?
Es kommt demnächst ein neuer Track. Max wird eine Reworked Version eines bestehenden Tracks sein. Ich weiß noch nicht genau, wann ich ihn veröffentliche. Vielleicht erst Anfang nächsten Jahres. Wie ich mich kenne, bin ich aber sehr schnell. Wenn ich zwischendurch Langeweile habe, könnte er schon in drei Wochen rauskommen. Ich halte euch auf dem Laufenden.
Wir sind gespannt und freuen uns jetzt schon auf den Song und die nächste Queer Open Stage. Wann die stattfindet, konnte Migati noch nicht sagen. Ich empfehle seiner Instagram-Seite zu folgen. Nach dem Interview Part saßen wir noch eine ganze Weile im Backstage zusammen und redeten. Dann machte sich Migati auf die Suche nach seinen Freund*innen. Auch er wollte dieses Jahr beim Festival noch ein wenig feiern und den Vogelball richtig genießen.
Vielen Dank für die Zeit und die Offenheit. Jetzt weiß ich auch, was mich bei der Musik und den Texten so berührt hat. Es ist die Person dahinter. Ein Mensch, der echt ist und Probleme anspricht, gepaart mit viel Humor.
Du möchtest mehr über Migati und seine Musik erfahren? Folge ihm auf Instagram und Spotify.
Wer Migati live erleben möchte, hat am 25.8.23 in Silent Rixdorf (Berlin), am 9.9.23 beim Queerpool im Südpol (Hamburg) und am 2.11.23 in der Deichdiele (Hamburg/Wilhelmsburg) die Möglichkeit und ich kann nur sagen: HIN DA! ALLE!
Fotocredit: Anya Zuchold (Titelbild), Jennifer Ploog (Live)
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