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Track by Track: Kristóf Hajós – Eine musikalische Reise zwischen Abschied, Erinnerungen und Hoffnung

Das neue Album 6:00 PM von Kristóf Hajós ist quasi direkt in unserem Postfach gelandet. Ein Austausch über Social Media machte Andreas neugierig auf mehr. Nun haben wir uns gemeinsam dem neuen Album des in Amsterdam lebenden Ungarn zugewandt. Jedes Stück bekommt hier in unserer Track by Track Review eine eigene kurze Vorstellung.

1. Goodbye Budapest

Andreas: Ein Abschied von der Heimat ist nie einfach, aber so schön musikalisch eingefangen wie hier, habe ich es selten gehört. „Goodbye Budapest“ klingt nach Nostalgie und Wehmut, aber auch nach der Gewissheit, dass es keinen anderen Weg gab. Warum Kristóf Ungarn verlassen hat? Man kann es nur erahnen. Wer als queere Person dort lebt, weiß, dass der Abschied manchmal erzwungener ist als gewollt. Und doch bleibt die Hoffnung auf eine Rückkehr, wenn sich die Zeiten ändern – auch wenn „the forecast is rainy“.

Caro: Ich lasse mich reinfallen in das erste Stück und bin mit Kristóf Hajós auf der Reise. Weg von daheim. Ich bin traurig und mag mir gar nicht vorstellen, wie es ihm ergangen ist. Ein wunderbares Stück. Tief traurig und bin mir derzeit nicht sicher, ob es eine Rückkehr gibt.

2. Good Kiss, Bad Kiss

Andreas: Der Kopf warnt, das Herz ignoriert’s – ein ewiges Dilemma. „Good Kiss, Bad Kiss“ startet und endet mit einem sirenenartigen Sound, als hätte man eine Warnmeldung erhalten, die man aber mit voller Absicht überhört. Sollten wir nicht alle viel öfter einfach im Hier und Jetzt leben? Vielleicht ist es ein schlechter Kuss. Vielleicht aber auch der Beginn von etwas Großem.

Caro: Die vorsichtige Annäherung zweier Personen. Langsam und scheu. Wieder ist es die sanfte Stimme, die mich zum Weiterhören bewegt. 

6:00PM

Andreas: 18:00 Uhr – eine seltsame Uhrzeit. Der Tag ist noch nicht vorbei, aber auch nicht mehr richtig da. Zu früh für eine Party, zu spät für produktive Aktivitäten. Ich kenne das Gefühl genau: Gehe ich noch los oder mache ich es mir auf dem Sofa gemütlich? „6:00PM“ ist genau dieser Moment in Musik verpackt – vibrierend, sanft und absolut tanzbar.

Caro: Was ich vorher immer leicht gehört habe, wird hier noch mal deutlicher. Ich höre Folksmusik durch die gleichmäßige Gitarre heraus. Und auch eine große Menge 90er Pop. Diese 6 Uhr-Momente, an denen eigentlich nichts mehr passiert und doch alles möglich zu sein scheint. Nostalgie pur. 

4. Boys in Technicolour

Andreas: Beim Titel hatte ich ein knalliges, fröhliches Stück erwartet, aber stattdessen zieht mich der Song in eine schwerelose Traumwelt. Der Rhythmus und die Bassline treiben sanft ins Unterbewusstsein, in einen Film, der in bunten, surrealen Farben leuchtet. „Boys in Technicolour“ ist wie dieser Moment kurz vor dem Einschlafen, wenn man sich nicht sicher ist, was real ist und was nicht – und genau das macht ihn so besonders.

Caro: Der Track beginnt für mich zu düster. Aber ich glaube, ich  habe diese Phase mit viel Depeche Mode auch nie so wirklich ausgelebt. Nein, dieser Song wird erstmal nicht mein Lieblingstrack auf dem Album.

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5. Monsters & Sailors

Andreas: Ein Song, der mich tatsächlich unruhig macht. Er schwankt zwischen düsterer Angst und kurzen Momenten der Erlösung. Ich spüre Beklemmung, fühle mich nicht wohl – und genau das ist wahrscheinlich gewollt. Kristóf hat es geschafft, eine Stimmung zu kreieren, die mich durch und durch erreicht.

Caro: Ein Erzählstück. Ja, ähnlich wie die anderen. Aber durch das Glockenspiel (?) und das Keyboard hat es etwas Verwunschenes, fast Gruseliges an sich. Der Song ist etwas unruhig, fast flehend erzählt der Musiker, dass diese Kreatoren ihm gleichermaßen Sicherheit geben. Beängstend, wie Andreas sagt, ja, aber auch sehr faszinierend, wie Stimmung in Musik gewandelt wird.

6. Future

Andreas: „I am your future.“ Diese Zeile trifft mich. Die jüngere queere Generation wächst mit einer ganz anderen Sprache und anderen Codes auf. Und plötzlich merkt man: Man versteht nicht mehr alles. Man wird älter. Aber hey, das ist okay! Wir haben unsere Zeit gelebt und können mit einem Lächeln sagen: Been there, done that. Der Song ist selbstironisch, reflektiert und eine Erinnerung daran, dass wir unser eigenes Tempo bestimmen dürfen – auch wenn die Freunde weniger werden.

Caro: Den mag ich. Also von der Melodie her. Der Text ist wieder tiefgehend und fast beängstigend. Zeilen wie “Nobody taught me / My friends are all dead now”  erzählen über Vergänglichkeit des Lebens und lassen mich nachdenklich zurück.

7. Hey, Sister

Andreas: Elterliche Fehler, Geschwisterdynamiken, alte Wunden – „Hey, Sister“ trifft genau ins Herz. Es ist diese Erkenntnis, dass unsere Eltern nicht alles richtig gemacht haben. Aber sie haben ihr Bestes gegeben, so gefangen in ihrer eigenen Welt, wie wir es manchmal auch sind. Der Sound bleibt versöhnlich, und genau das ist die Botschaft: Wir können loslassen, abschließen und den Frieden finden, den wir verdienen.

Caro: Mmh, ich verstehe die Message und bin bei dem Stück aber nicht völlig überzeugt. Es hat wieder etwas Verträumtes, Versöhnliches und dich trauriges. Ich vermisse hier doch Spannung. Der Part kurz vor dem Abschluss ist mir gerade zu wenig. Das Stück lässt mich unerfüllt und wartend zurück.

8. Lazy Heart

Andreas: Endlich ein Song, der mich sofort mitwippen lässt! Ein unkonventionelles Thema, das mich aber direkt anspricht. Kennt ihr das Gefühl, wenn ihr emotional schon viel weiter seid als euer Gegenüber? Manchmal wünsche ich mir auch, ich könnte mein Herz auf „Slow Mode“ schalten, statt sofort Feuer und Flamme zu sein. „Lazy Heart“ hat einen leichten Groove und eine schöne Leichtigkeit – genau das, was ich mal wieder in diesem Album gebraucht habe.

Caro: Doch endlich ein Song zum Tanzen, oder wenigstens leicht Mitwippen. Ich mag ihn. Dieses fast unbeschwert nach einem erneuten mystischen Start. 90er Vibes bei denen ich mitkomme. 

9. Back to the Forest

Andreas: Das Album endet fast mittelalterlich – Kristóf wird zum modernen Barden. „Back to the Forest“ klingt nach Rückzug, nach einer Pause, die man sich nimmt, um sich selbst wiederzufinden. Aber es ist kein Abschied für immer. Der Wald kann warten. Wir sind noch nicht fertig mit dem Leben, auch wenn es manchmal verlockend wäre, einfach für eine Weile zu verschwinden. Ein versöhnlicher Abschluss, der mir das Gefühl gibt: Wir sind nicht allein, und wir sind stark.

Caro: Getragen und im langsamen Tempo geht dieses Werk zu Ende. Es ist absolut nicht mein Stil. Aber das Album bekommt einen würdigen Abschluss, der passend ist.

Fazit:

6:00 PM von Kristóf Hajós ist ein Album, das bleibt

Andreas: Kristóf Hajós nimmt uns mit auf eine Reise, die mehr ist als nur Musik. Seine tiefe Stimme gibt mir das Gefühl, verstanden zu werden. Sie umarmt, tröstet und spricht die Themen an, die mich selbst beschäftigen.
Als queere Person älter zu werden, ist nicht immer einfach. Die Fragen, die Kristóf stellt, stelle ich mir auch: Werden wir irgendwann allein sein? Wer bleibt, wenn alle gehen? Mein Mann und ich haben keine Kinder, unsere Familie lebt weit entfernt. Aber dann merke ich: Wir sind mit diesen Gefühlen nicht alleine. 

Caro: Ich versuche zu verstehen und glaube ich kann es zum Teil. Das sich-alleine-fühlen ist vertraut und doch fremd. Ich spüre viel Traurigkeit beim Hören der Stücke und bewundere diesen Musiker für seine Fähigkeit seine Gefühle und Gedanken so in Musik zu wandeln. 

Kristóf Hajós hat mit diesem Album nicht nur Musik veröffentlicht – er hat ein Gefühle eingefangen, das viele von uns kennen. Danke für diese Reise.

Fotocredit by Jesse van den Berg

Das neue Album 6:00 PM erscheint am 13. Februar 2025 als LP und auf allen Streaming-Kanälen. Mehr über Kristóf Hajó erfahrt ihr auf YouTube oder Instagram. Wer am 15.02.25 in Amsterdam ist, sollte sich das Konzert nicht entgehen lassen.

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