Fettes Brot
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Ein epischer Abschied: Fettes Brot sagt Tschüss.

Trabrennbahn Bahrenfelde, Hamburg, es ist Samstag der 02. September 2023, 22:22 Uhr. Menschen liegen sich in den Armen, sind traurig und weinen. Niemand möchte nach Hause gehen. Wenn wir einfach bleiben, können wir das Unausweichliche verhindern? Wenigstens etwas rauszögern? Es kann doch nicht einfach vorbei sein? 30 Jahre, das ist fast mein ganzes Leben, scheinen alle zu denken. Fettes Brot hat uns unser ganzes musikalisches Leben begleitet. “Ich bin dagegen, ihr Pimmel!” steht auf einem Transparent und ja, wir sind auch dagegen. Was sich in der Single Brote weinen nicht angekündigt hat, ist nun wirklich geschehen. Die Brote sind Geschichte.

Brotstock – Eine große Überraschungsparty

2 Tage Festival und keiner wusste, wer auftritt. Die Karten waren in unglaublicher Geschwindigkeit ausverkauft. Das schaffen sonst fast nur amerikanische Superstars. Aber in Hamburg haben wir unsere eigenen Helden: Dokter Renz, König Boris und Björn Beton. Wenn die Brote rufen, kommen jeweils 25.000 Menschen, um den Abschied gebührend zu betrauern. Am Samstag waren auch Caro und Andreas für MUSICPOTS vor Ort.

Caro und Andreas Fettes Brot

Features der Extraklasse: Ein Fest der deutschen Hip-Hop Elite

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Wie alle, waren auch wir gespannt auf das, was Fettes Brot geplant hatte. Die Realität übertraf alle Erwartungen. Zuerst betrat Fatoni die Bühne – ein lyrical Genius, der mit seinen scharfsinnigen Texten und einzigartigem Flow das Publikum in den Bann zog. Dann brachten Grossstadtgeflüster ihre unverkennbaren elektro-poppigen Vibes ins Spiel, die die Menge in ekstatische Tänze versetzten. Nachdem alle ihr musikalisches Diadem gefordert hatten, kündigten die Brote weitere Freunde an. Es traten die Antilopen Gang und Danger Dan ins Rampenlicht und brachten die Menge wieder zum Kochen. Als Danger Dan mit seinem Klavier die Kunstfreiheit besang und das Publikum geschlossen die Faust zur Militanz in die Luft reckte, war die Stimmung kaum mehr zu überbieten. Dachten wir.

Danger Dan Brotstock

Der nächste Höhepunkt sollte nicht lange auf sich warten lassen. Jan Delay und Denyo enterten die Bühne. Was los, Digga, Ahnma, ja was ist los? Die Beginner! Ernsthaft? An den Turntables dieses Mal DJ Stylewarz, statt DJ Mad, weil Urlaub und wir sprangen bei jedem Beat wie vor 30 Jahren gleich noch mal höher. Jeder Song, jedes Wort wurde mitgerappt. Nach den Hits der Beginner kam die wohlverdiente Pause.

Zeitreise durch das fette Hip Hop Universum

Nach der Pause standen endlich die Brote selbst auf der Bühne, die optisch an den  Hamburger Hafen erinnerte. Über dem Kutter Yasmin schwebte eine übergroße Möwe und in der Ferne waren die Kräne des Containerhafens zu sehen. Jeder Song war eine Reise zurück in Tage, die längst vergessen schienen. Tage, an denen wir auf dem Pausenhof die ersten deutschen Hip-Hop Tracks auf Kassette ausgetauscht haben. Die Jungs spielten ihre größten Hits, darunter “Nordish by Nature”, “Jein”, “Emanuela” und natürlich “Bettina”.

Auch hier passierte plötzlich Unerwartetes: Songs, die früher nicht auf das ergebene Mixtape passten, wurden in der Menge gefeiert.

Andreas: „Bettina und Emanuela hatte ich nie verstanden. Ballermann-Hip Hop, damit konnte ich nichts anfangen, das fand ich zu albern. Als die Songs rauskamen, war ich intellektuell vermeintlich weiter. Aber am Samstag habe ich es verstanden, ich habe die Tracks gefühlt. In der Masse Bettina zu bitten, endlich ihre Brüste wieder einzupacken. Das muss man miterlebt haben. Einfach nicht drüber nachdenken, mitmachen und fühlen.“

Zugabe? Na sischi!

Die Aerzte Brotstock

Als wir auf die Zugabe warteten, wurde die Bühne abgehängt. Die Stimmung war zum Reißen gespannt. Als der Vorhang fiel, gab es für die Menge kein Halten mehr! Standen da jetzt ernsthaft Die Ärzte auf der Bühne? Was für ein Gefühl, als 25.000 Menschen den Schrei nach Liebe mitsangen. So wichtig in der heutigen Zeit. Die Kombination der Ikonen des Deutsch Punk und des Deutschen Hip-Hop war ein explosives Gemisch. Die Luft brannte und das Publikum wurde mitgerissen.

Gebäck in the Days

Mit einem Gemisch aus Melancholie und Freude blickt auch Caro auf diesen Abend und die Zeit mit den Broten zurück. „Damals, man hatte gerade den Führerschein, konnte erstmals selber mit Freunde zur Disko fahren. Das Mixtape voll mit deutschem HipHop, die Hosen saßen tief und die Shirts waren lang. Jahre später in Hamburg, das erste Wieder-Da-Konzert. Die erste Trennung tat so weh, dass wir voller Inbrunst beim Konzert vom ersten bis zum letzten Ton mitsangen. „Der Song ist cool, ist der neu?“ fragte mich der Teenie von der Seite. Damals war das Album Auf einem Auge blöd bereits 20 Jahre alt. Die Zeilen vom Friedhof der Nuscheltiere sitze heute noch fast stolperfrei.“

Ein letzter wehmütiger Blick zurück

„Das Album auf CD hab ich natürlich noch. Die Papphülle, die im Plastikstapel so hipp erschien, musste damals zu jeder Party mit. Ein wenig hab ich sie vermisst die unzählig Hits der ersten drei Alben, die unseren Sprachgebrauch weit über die Fanbase geprägt haben. „Frikadelle am Ohr“ oder “Silberfische im Bett“. Schon damals hat Bela angerufen und Jan Delay sprang mit auf der Bühne herum. HipHop war von Punk manchmal nur soweit entfernt, wie die A- von der B-Seite. Wir lagen uns durch Musik vereint in den Armen. Und natürlich waren Fettes Brot eine der ersten Reviews auf MUSICSPOTS. Heute im Jahr 2023 nehmen wir glücklich lächelnd Rückenschmerzen in Kauf, um noch einmal die Erinnerungen der Jugend zu feiern, die immer bleiben werden.“

Das Ende? Das Ende!

Wie kann man das alles noch toppen? Indem man Schwule Mädchen intoniert, die ganze Menge mitgröhlt und man am Höhepunkt die Techno Marchingband Meute auf die Bühne holt. Und was macht man als echter Fan, wenn man nicht möchte, dass das Konzert jemals endet? Man singt einfach weiter. Nachdem die letzten Töne verklungen sind, hörte das Publikum einfach nicht auf. So lange, bis die Brote nochmal die letzten Takte anstimmten und unterstützt von der Meute die Bühne endgültig abrissen. Aber einmal muss alles vorbei sein. Nein, wir wollten das nicht wahrhaben. Die Fans blieben einfach auf der Trabrennbahn und verharrten im Schockzustand. Man lag sich in den Armen und viele weinten. Die Jungs traten dann doch nochmal vor den Vorhang und stimmten Acapella den Abschlusssong der Bugs Bunny Show, um dann “wie Homer Simpson rückwärts durch die Hecke zu verschwinden”.

Wir können nur Danke sagen! Danke, Dokter Renz, König Boris und Björn Beton. Danke für 30 Jahre feinsten deutschen Hip Hop.

Fettes Brot Das Ende

War alles geil? Jein!

Was wir jetzt zu meckern haben? Lest euch nochmal durch, wer alles aufgetreten ist. Es waren fast ausschließlich Männer! Es waren lediglich drei weiblich gelesene Menschen auf der Bühne. Das ist 2023 schlichtweg nicht genug. Wie gerne hätten wir den fließenden Rap von „Heißes Eisen“ Nina MC nochmal gehört.

Es ist an der Zeit, dass die Hip-Hop-Szene in Sachen Geschlechtergleichheit und Repräsentation aufwacht und den vielen talentierten Frauen da draußen die Plattform bietet, die sie verdienen. Denn es gibt genügend FLINTA+ Talente und vor allem in Hamburg.

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Fotocredit: Amazing Andreas Seibert-Wussow