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Reeperbahn Festival 2022 Rückblick Teil 2 – International, digital und persönlich

Zweiter Blick zurück auf das Reeperbahn Festival 2022. Der Besuch des in Hamburg beheimateten Festivals wird seit jeher durch persönlichen Austausch geprägt. In diesem Jahr merkte man den Besucher:innen an, dass der fehlende Kontakt der vergangenen Jahre nachgeholt werden wollte. Wir blicken nochmal zurück und schauen auf Internationalität, digitale Lösungen und lassen die Branche zu Wort kommen.

International präsentiert

Wer in unserem ersten Teil aufgepasst hat, merkt: Ein Großteil der besuchten Konzerte von MUSICSPOTS wurde dieses Jahr aus Kanada präsentiert. Das Land mit dem Ahornblatt hat immer eine wunderbare, vielfältige Mischung an Genres zu bieten. Die 28 Acts brachten an zwei Tagen im Wechsel Pop, Rock, Folk, Country und Soul zu uns und ließen dabei keinen Wunsch offen.

Wer sich über die neuesten Trends der osteuropäischen Musikszene erkundigen wollte, konnte am Festival Donnerstag bei der CEEntral Party einen guten Eindruck gewinnen. Wir waren sehr begeistert von Alfah Femmes, die das Set der 6 Acts eröffneten. Mit Streichern und Bläsern boten sie Popmusik, die sich wie selbstverständlich aus Jazz und Klassik bediente.

Der Blick durch das Programm zeigte in diesem Jahr eine starke Präsenz der britischen Acts und auch viel deutschsprachige Musik von Punk bis Rock konnte live erlebt werden. Vermisst wurde unsererseits ein wenig das Gastland USA bei den Konzerten. Der Programmfilter zeigte 24 Künstler:innnen an, wobei zwei der großartigen Acts: Annie Chops und Ian Fisher aus Berlin bzw. Wien angereist waren. Den für die USA verbreiteten typischen Country Sound brachte nur ein Musiker auf die Bühne: Skinny Dyck aus – wer hätte es gedacht – Kanada.

Fotocredit: Featurette by Dirk Kippermann

Digital und mobil geht besser

Leider gibt es dieses Jahr auch negative Punkte zu erwähnen. Als Erstes sticht dabei die App zum Festival hervor. Was zunächst die individuelle Planung erleichtert hat, entpuppte sich für den täglichen Gebrauch vor Ort als unhandlich. Zum einen war der riesige Timetable auf dem Handydisplay schlecht einsehbar. Des Weiteren mangelte es an regelmässigen Aktualisierungen. Während die Gigs am Reeperbus von N-Joy-Radio sich zum Reinschnuppern eignen, wurden diese nur auf der Künstlerseite direkt angezeigt. Über die App waren diese nicht auffindbar.

Die angekündigte Besucher-Ampel war zwar grundsätzlich eine gute Idee, wurde aber ebenfalls nicht dargestellt. Es mag sein, dass sich die vorgenannten Kritikpunkte nicht auf allen Handys gezeigt haben, aber in Gesprächen mit anderen Festival Gästen wurde diese Problematik oft genannt. Zu wünschen wäre auch, dass ab und an Locations, die nicht so zentral oder im Fokus der Allgemeinheit lagen, durch den Veranstalter gefeatured werden. Denn auch hier gab es allerhand weniger gut besuchte Konzerte, während anderenorts die Clubs gut gefüllt waren.

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Fotocredit: Dylan by Jennifer Ploog

Austausch mit Blick in die Zukunft

Das Konferenzprogramm ergab auf den ersten Blick vier Schwerpunkte: Nachwuchsförderung, Diversität mit starkem Fokus auf die Förderung von Frauen, Nachhaltigkeit und ein sorgsames Miteinander. Die Krise und der Wandel, der die Gesellschaft durchzieht, sind deutlich in der Livemusikbranche spürbar. Dennoch zeigt sich die Branche weiterhin kämpferisch und vor allem kreativ. Die Livekomm und das Clubkombinat Hamburg boten im Spotlight Clubkultur ein spannendes Panel über nachhaltige Festival- Konzepte. The Changency gab Einblicke in die Erfolge des Plant A Seeed Projektes und bei gleich mehreren Paneltalks suchte man Antworten auf die Frage, wie man den Nachwuchs wieder für die Branche begeistern kann.

Der Blick in die Zukunft der Musik- und Konzertbranche wurde auch mehrfach thematisiert. So kamen beim Hamburger Verband RockCity am Freitag wieder Musiker:innen und Branchenexperten zusammen. Neben Anika Jankowski (Oh my music) und Hannes Notzke (KD Palme), durfte auch Caro Schwarz (MUSICSPOTS) der Schnellfragerunde zu  “DREAMFACTORY oder HAMSTERRAD: Wie sieht eine Musikbranche der Zukunft aus?” beantworten. 

Auch hier zeigte sich: Kurze Gespräch an der Bar, am Einlass oder beim Warten am Bühnenrand, führten auch dieses Jahr zu tieferen Branchen-Insights, als der Blick ins Festival- und Konferenz-Programm.

Fotocredit: RockCity PopReception by Laura Mueller

Wir haben uns daher abschließend auf, hinter und neben den Bühnen umgehört und Feedback einfangen.

Feedback von der Bühne

Tanika Charles haben wir direkt nach ihrem Gig im Uwe zum Interview getroffen. Die aus der Nähe von Toronto stammende Musikerin strahlte nach dem Auftritt im vollen Club überglücklich. “It was phantastic. The audience was actually overwhelming. This gig felt like a bucket list kind of thing. Absolutely great.”

Fotocredi: Sophia Kennedy by Jennifer Ploog

Auch die aus Wien angereiste Musikerin Berglind sprach am Freitagmittag über ihren Gig am Abend zuvor. Der elektronische Pop ihrer Stücke hat uns live im Mojo Jazz Cafe direkt überzeugt. Die starke Präsenz auf der Bühne in Kombination mit dem Gesang und der Komposition aus Elektro und deutschsprachigem Pop ist eine echte Empfehlung. Die kleine Venue war voll und die Besucher:innen drängten sich bis an den Bühnenrand. “Das Konzert war wunderbar,” so Berglind. “Die unmittelbare Nähe zu den Fans ließ mich das Konzert noch intensiver erleben.“ Die Musikerin war zuvor beim Waves Vienna aufgetreten und bekräftigte, wie interessant sie die Mischung aus Business-Besucher:innen und Musikfans findet. In Wien fehlten diese spontanen Fans, die die Stimmung zusätzlich auflockern oftmals.

Die für den Anchor Award nominierte Musikerin Philine Sonny erzählte uns am Samstag von ihren Auftritten. Den Opener Song Gatekeeper hatte sie erst am Sonntag zuvor mit heftiger Erkältung fertiggestellt und auch nur kurz mit dem begleitenden Bassisten und Drummer proben können.  Ich mag es, wenn nicht immer alles gleich ist und dadurch diese besondere Aufregung entsteht,” schilderte sie uns ihre beiden Auftritte.

Wir werden in den kommenden Artikeln diese drei Künstlerinnen noch einmal ausführlich vorstellen, denn natürlich haben wir nicht nur über ihre Festival-Auftritte gesprochen.

Feedback neben den Bühnen

Zsolt Jeges (CEEntral Party)
„Das Reeperbahn Festival ist auch 2022 eine der wichtigsten Veranstaltungen für mich. Nach (?) der Pandemie tat es besonders gut, Konzerte live zu erleben, Freunde und Kollegen zu treffen und bis in den Morgen zu tanzen. Die CEEntral Party war noch nie so erfolgreich wie in dieses Jahr. Gemeinsam mit unseren Partnern und der estnischen Delegation konnten wir durch die sechs Bands die Vielfalt und das Talent der Menschen aus Ungarn, Polen, Tschechien, Litauen und Estland präsentieren. Es haben rund 200 Besucher:innen aus mehr als 10 Ländern teilgenommen und ich freue mich auf das kommende Jahr.“

Arne Thamer (Backseat PR & Fanklub)
Das diesjährige Reeperbahn Festival war für uns ein voller Erfolg. Wir konnten im Hamburg Haus das 5-jährige Bestehen von Backseat mit vier großartigen Labelacts feiern und auf der Spielbude XL unsere neue direct-to-fan Plattform, den Fanklub, vorstellen und den Launch der Fanklub App verkünden.

Birgit Reuther (BiggyPop)
Ich muss sagen: Angesichts von Publikumsschwund und Fachkräftemangel in der Livemusikbranche plus Pandemieerschöpfung, Ukraine-Krieg und globalen Konflikten, Energieknappheit und Kostensteigerung war ich nicht gerade in Feierlaune zu Beginn des Reeperbahn Festivals. Und auch Festival-Chef Alexander Schulz hat ja bei der Eröffnung im Operettenhaus auf St. Pauli vehement auf diese verheerende Gemengelage aufmerksam gemacht. Aber dann war es doch wieder sehr deutlich spürbar, dieses Gefühl, dass wir „mit Kultur die Welt anders spielen können“, wie Kultursenator Carsten Brosda es in einem Conference-Talk mit Pianist Igor Levit ausgedrückt hat. Der Anblick von vollen Clubs, jubelnden Fans und spielfreudigen Bands sowie die vielen inspirierenden Begegnungen haben mich dann doch noch in Festival-Laune versetzt. Entdeckungen waren für mich unter anderem Charlotte Brandi, Nerd Connection, Pabllo Vittar und Marlon Hammer.

Fotocredit: Rollerskater Autoscooter by Mitra Kassai

Aus der Redaktion

Jennifer Ploog (freie Fotografin)
Das Reeperbahn Festival fühlte sich für mich in diesem Jahr an wie ein gemeinsamer schöner Start zurück in die Festival- und Konferenzzeit für die Musikbranche an, wie man sie lang vermisst hat. Sich durch die vielen Venues treiben lassen und Momente einfangen, sich mit den Kolleg:innen immer wieder austauschen – das tat einfach nur gut. So war auch die Stimmung. Das spürte man sowohl vor, hinter und auf den Bühnen. Meine persönlichen Highlights waren zum Einen eine lässige Joy Crookes, die mich mit einem reduzierten Showcase in der Elbphilharmonie verzauberte. Zum anderen auch Andrew Waite mit seiner grossartigen Band, die gleichermaßen durch einen charismatischen Frontman als auch durch das Zusammenspiel der unterschiedlichen Instrumente ein energiegeladenes Showcase darboten und zur Mittagszeit das Haus gerockt haben. 

Caro Schwarz (Gründerin MUSICSPOTS)
Eines der absoluten Highlights war der Auftritt der kanadischen Musikerin Tanika Charles mit anschließendem kurzfristig vereinbarten Interview. Überhaupt war der persönliche Austausch dieses Jahr wieder besonders wertvoll und hat das viertägige Event zu einem schönen Erlebnis gemacht. Die Interaktion zwischen Publikum und Bühne war spürbar und oftmals sprang der Funke direkt zum Beginn über. Auch das Wetter zeigte sich fast durchgehend freundlich und ließ uns zwischen den Konzerten oft spontan draußen in Gesprächen verweilen. Nächstes Jahr nehme ich mir Zeit für eine Runde Rolleskates fahren auf dem Autoscooter.

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Fotocredit: POESY by Dirk Kippermann

Dirk Kippermann (freier Redakteur)
„Das Festival hat mich vier Tage unter Adrenalin gesetzt. Von Gig zu Gig, von einem Club zur nächsten Bühne. Angefangen bei der deutsche Newcomerin Deer Anna an der Fritz Kola Bühne, bis zum Ende Samstagnacht mit Merci, Mercy aus Down Under habe ich über 30 Acts aus aller Welt live erlebt. Kurzum, ich war voll in meinem Element. Als ich eine befreundete Musikerin traf, brachte sie es auf den Punkt, als sie sagte “Man sieht es dir an, du strahlst ja richtig!”. Highlights waren für mich die Band Low Hummer und die bereits genannten Featurette. Außerdem die überragende POESY und Ghostly Kisses, die mich mit ihrer Musik und einer sanft streichelnden Stimme fast zu Tränen gerührt hat. Mit dem Vorort-Team von MUSICSPOTS und anderen Freunden hatte ich eine großartige Zeit. Meine Beine waren abends meist schwer wie Blei, doch mein Herz voller Musik!“

Was habt ihr erlebt? Habt ihr Musiker:innen und Bands entdeckt, die wir unbedingt hören müssen? Welche Konferenz-Talks haben euch tiefe Ein- und Ausblicke in die Szene gegeben? Schreibt uns eure Eindrücke.

Weitere Einblicke in das Reeperbahn Festival 2022 erhaltet ihr auf Facebook und Instagram und in unserem ersten Teil des Rückblicks.

Fotocredits:
Moncrieff  (Titel) , Dylan, by Jennifer Ploog
Featurette, Poesy by Dirk Kippermann,
Rollerskater-Autoscooter by Mitra Kassai
RockCity Reception by Laura Mueller

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