Wie geht es Musikschaffenden in diesen unsicheren Zeiten? Mit welchen Tools und Kenntnissen kommt man durch eine Welt, in der Fans nur Klicks entfernt scheinen und doch weit weg sind. Alle diese Fragen sollten auf der Operation Ton Ende Oktober in Hamburg geklärt werden.
Auch im 16. Jahr hatte das Hamburger Popbüro Rockcity keine Mühen gescheut, einen Veranstaltungsraum zu schaffen, der ein Safe Space für unabhängige Musiker*innen ist. Wenn auch das Setting dieses Jahr durchaus kleiner war, so waren das Programm und die Gäste umso interessanter.
Pünktlich um 11 Uhr begrüßte RockCity Geschäftsführerin Andrea Rothaug die Musikschaffenden in der SAE im Bunker an der Feldstraße. Im weiteren Verlauf sollten auf der Main Stage sowie der Green Stage diverse Talks und Workshops für Künstler*innen aus Hamburg stattfinden.
Unsere Highlights des ersten Tages der Operation Ton:
Besonders spannend und zugleich rührend war der Opener-Talk der Veranstaltung: Moderatorin Ivy Nortey befragte das Panel bestehend aus: Roger Rekless, Ebow, Lila Sovia und MELANE dazu, wie wichtig es ihrer Meinung nach sei, Haltung in der Musik zu zeigen. Dabei hätte die Auswahl der Künstler*innen wohl kaum passender sein können: Während Roger Rekless und MELANE ihre Erfahrungen als People of Colour in die Debatte einfließen lassen, sprechen Ebow und Lila Sovia über Queerness in der Musik.
Abschließend kommen die Panel-Teilnehmer*innen zu dem Resümee, dass es zwar wichtig sei, als Musikschaffende Aufklärungsarbeit zu leisten, diese jedoch oftmals zu wenig wertgeschätzt und als selbstverständlich gesehen werde. Schließlich sei es für den Großteil der anwesenden Künstler*innen schwer, auf ihre Musik beziehungsweise bestimmte Themen, die sie berühren, reduziert zu werden. Letztlich sind sie sich jedoch einig, ein Vorbild für Menschen zu sein, die mit denselben Problemen konfrontiert werden. Die in Berlin lebende Rapperin Ebow fasst den Talk wiefolgt perfekt zusammen: “Als ich klein war, habe ich mir immer gewünscht, dass jemand darüber rappt, wie es ist, queer und mit einem Migrationshintergrund auzuwachsen. Diese eine Person gab es aber nicht. Heute bin ich diese eine Person und das macht mich stolz.”
Bürgerlicher Name oder Pseudonym?
Patrick Großmann, Bernd Weidung und Judith Wessendorf – na, kommen dir diese Namen bekannt vor? Obwohl hinter ihnen berühmte deutsche Musiker*innen, wie die Rapper*innen Luciano und Juju sowie der Modern Talking Sänger Thomas Anders stecken, würde man sie an ihren bürgerlichen Namen wohl kaum erkennen. Mit der Frage, ob man unter seinem bürgerlichen Namen oder unter einem Künstlernamen Musik veröffentlichen sollte, beschäftigten sich der Musiker JESUÉ und der Musikwissenschaftler Dr. Harald Kisiedu. JESUÉ selbst veröffentlichte bis vor einem Jahr seine Musik unter seinem Realnamen Horst Wegener. Damals war er bereits offen für die Frage, welcher Name wohl der bessere sei, um erfolgreich Musik zu vermarkten. Dr. Harald Kisiedu zufolge sei es wohl in Genren wie Jazz üblich, seinen bürgerlichen Namen zu verwenden – im Rap hingegen funktioniere dies eher nicht. Horst Wegener aka JESUÉ jedenfalls bereut seine Entscheidung nicht, mittlerweile unter einem Pseudonym zu veröffentlichen: “Mein Künstlername erleichtert es mir, über persönliche Dinge unverblümt zu sprechen und mein Privatleben von meiner Musik abzugrenzen.”
Weiterhin konnten sich Musikschaffende über die Thema GEMA sowie GVL informieren, Talks zum internationalen Booking, Artist Management und nachhaltigem Merchandise lauschen und an Songwriting und Artist Identity Workshops teilnehmen. Spannend Einblicke in die Entwicklung einer Band gab es aus Sicht des Managements der erfolgreichen Techno Brass Combo Meute.
Gehen Musik & Tech zusammen? Ist das heute wirklich noch eine Frage? Neben dem Booking-Beichtstuhl mit Branchenkennern wie Fenja Möller (Karsten Jahnke), gab es Sessions zum Produktions-Check. Persönlich und direkt. Ein wichtiges Feedback in unserer digitalen Welt. Denn Musiker*innen machen heute oftmals alles selber. Begonnen von der eigenen Produktion, bis zum Booking sind die Aufgabenfelder vielfältig. Ein direkter Austausch mit Expert*innen ist daher hilfreich.
Doch gesellschaftlich relevante Themen spielten sich nicht nur auf der Main und Green Stage ab: Die Hamburger Organisation GoBanyo, die Duschbusse für Menschen auf der Straße bereitstellt, klärte an diesem Tag mit der Premiere ihrer VR-Experience über das Thema Obachlosigkeit auf und wie schnell es jeden von uns treffen könnte. Charlyn und auch Caro aus der MUSICSPOTS Redaktion stellten sich der Herausforderung, die Erfahrungen und Gefahren, denen obdachlose Menschen täglich ausgesetzt sind, durch die interaktive VR-Brille selbst zu spüren. Ein emotionales und augenöffnendes Erlebnis.
Wie auch in den vergangenen Jahren zeigte sich: Die Operation Ton ist ein Ort zum vertrauensvollen Austauschen, Wissenaufnehmen und im geschlossenen Raum auch mal Dinge aussprechen, die man sich sonst nicht traut. Vieles, was an diesem ersten Tag der zweitägigen Konferenz mit Livemusik geboten wurde, war einzigartig. Vom Input der Expert*innen bis zum persönlichen Austausch zwischen den Talks und Sessions.
Danke, dass auch wir wieder dabei sein durften, ein Privileg für Medienschaffende. Denn dieser oftmals intimen Blicke hinter die Kulissen der Branche sind es, die es uns ermöglichen, mit noch mehr Feingefühl über Musik, Artists und News zu berichten.
Mehr Rückblicke erhaltet ihr auf dem Instagram Kanal der Operation Ton. Allen Musikschaffenden im Raum Hamburg sei wie immer das Popbüro RockCity Hamburg e.V. als erste Anlaufstelle empfohlen.
Fotocredit by Charlyn Schulze und Carolin Schwarz